Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (in Erinnerung an Marcel Proust *1871 †1922) [27.06.22]
Nein, hier folgt keine unendliche (oder 7-bändige) Geschichte über Erinnerungen, sondern die Würdigung der fast fünfhundertjährigen »Traubeneiche« im Arnsberger Wald. Erinnerungen an die Jugendzeit dieses Baumes hat kein Mensch mehr, und nach allem, was wir wissen, der Baum selbst auch nicht. Trotzdem steht er am Anfang unserer kleinen Wanderung durch den Arnsberger Wald, und er löst jedesmal Bewunderung aus, wenn wir seinen Standort im Walde wieder erreichen: »Jedes Wesen zerfällt, wenn wir es nicht mehr sehen. Erscheint es dann das nächste Mal wieder vor uns, findet gleichsam eine Neuschöpfung statt.« 1)
»Verlorene Zeit kann auf zwei Weisen verstanden werden: als Zeit, die als vergeudet scheint, oder als Zeit, die unwiederbringlich vergangen ist.« 3) Vergeudet hat die Eiche ihre Zeit sicher nicht: Noch heute nimmt sie über ihr Blattwerk CO2 aus der Luft auf, bildet daraus Nährstoffe und gibt frei gewordenen Sauerstoff in die Luft ab - und das seit vielen hundert Jahren. Möge sie dies noch lange so weiter tun! Aber dass sie bei dieser Arbeit für gute Luft gealtert ist, sieht man der Eiche doch an. »Dass alles der Zeit verfallen ist, das ist sicher jene Bedingung der Wirklichkeit, der Proust am empfindlichsten ausgesetzt war.« 2)
Auf der Suche nach meiner eigenen vergangenen Zeit war ich auf eine ↗ Wanderung im Taunus mit Luftikus im Jahr 2008 gestoßen, bei der ich mit einem damals 79-jährigen Mitwanderer kaum mithalten konnte. Dieser Sachverhalt erscheint mir heute um so erstaunlicher, als sich in den Covid-Jahren bei mir die Erkenntnis breit gemacht hat, dass für meine Kondition kürzere und weniger anspruchsvolle Streckenführungen passender sind. Und damit bin ich nicht allein: Vor ein paar Wochen erreichte mich ein E-Mail-Hilferuf: »Mir sind alle angebotenen Aktivitäten zu anspruchsvoll.« natury spricht zwar unter ↗ Fragen und Antworten etwas abfällig von »Nackt-Spaziergängen (3 bis 10 km)«, aber die Nachfrage ist da.
Auf der Suche nach einer seniorengerechten Wanderstrecke hatte ich mich nun aufgemacht, eine Route von 9 km Länge zu erkunden, die auch bzgl. der Höhenmeter auf altersgemäße Kondition der Wanderer Rücksicht nimmt: Kumuliert knappe 200 m Höhenunterschied sollten in den Bergen des Sauerlands nicht über die Maßen abschrecken, können aber dennoch eine nicht überwindbare Sperrmauer darstellen. Also: Ausprobieren! Als gewisse Herausforderung erwies sich ein Wegeabschnitt von nur 200 m Länge, in dem ein Höhenunterschied von 50 m zu ersteigen war. Als Belohnung wartete jedoch unmittelbar auf der Höhe eine Hütte mit Bank und Tisch, die zur Rast einludt.
Die »verlorene Zeit des deutschen Waldes« musste man nicht lange suchen: Mehrfach taten sich weite Flächen auf, die durch Baumstümpfe und herumliegendes Astwerk von der ehemaligen Fichten-Monokultur zeugten, die den Forstwirten einige Jahrzehnte lang wegen des schnellen, geraden Holzwachstums schnelle Gewinne brachten, inzwischen aber aufgrund der durch Trockenheit und Erwärmung geförderten Ausbreitung des Borkenkäfers (meist von der Art des Buchdruckers) vielerorts den Kollaps der Holzwirtschaft bewirkt hat. Einige der betroffenen Forstwirte haben zugelernt und machen sich an die Wiederanpflanzung eines widerstandsfähigen Mischwalds, wie er für Wälder in Deutschland traditionell und typisch war. Sie folgen damit etwa dem Vorbild des
Tempelwalds von Karl Tempel, dem wir 2019 durch Unterstützung seiner Petition gegen den Gifteinsatz im Brandenburger Wald zum Erfolg verholfen haben - und der u. a. die Traubeneiche als gut geeigneten Baum für die klimatische Zukunft schätzt.
Ob angesichts des fortschreitenden Klimawandels der »deutsche Mischwald« Bestand haben kann, muss die Zukunft zeigen. Prousts Idee des letzten Bands »Die wiedergefundene Zeit« bleibt jedenfalls ein nicht realisierbarer Traum: »Da findet dann Proust im Kunstwerk das Mittel, die verlorene Zeit für immer wiederzufinden.« 2) Auch wenn die Kunst in Bildern, Texten und anderen Formen die Zeugen einer verlorenen Zeit noch so anschaulich konserviert, bleiben sie doch eine Konserve und können nur helfen, der Erinnerung eine Illustration zu liefern. »Wiederfinden«, also zurückgewinnen, kann man die vergangene, verlorene Zeit aus Kunstwerken heraus ganz sicher nicht.
1) Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Suhrkamp 1964
2) Martin Walser, Erfahrungen und Leseerfahrungen, Suhrkamp 1965, Leseerfahrungen mit Marcel Proust
3) de.wikipedia.org
2) Martin Walser, Erfahrungen und Leseerfahrungen, Suhrkamp 1965, Leseerfahrungen mit Marcel Proust
3) de.wikipedia.org
Wandern im Gebiet der Ahreifel [27.06.22]
Das Ahrgebiet ist auch 2022 wieder häufiges Wanderrevier. Am lezten Junisonntag war die abwechslungsreiche Wald- und Wiesenlandschaft in der Umgebung Herschbachs das Ziel einer naturistischen Wandergruppe. Die Wetterturbulenzen des Monats Juni machten an diesem Tag eine Pause, und so bot sich den nackten Wanderern bei 21° Wandertemperatur und wechselnder Bewölkung des öfteren ein weiter Blick über die sanften Rundungen des bergigen Umlands.
Die sanfte Berglandschaft der Eifel
Pfingstmontags-Wanderung im Pfälzerwald [27.06.22]
Giorgaki auf dem Basisfelsen des Falkestein
Die traditionelle Pfingstmontags-Wanderung im Pfälzerwald fand - nach einem ordentlichen Schauer zu Wanderbeginn - bei stabilem Wanderwetter statt: Nachdem es am Sonntag noch 20 mm Niederschlag je m² gab, herrschten am Montag 5 h Sonnenschein und Tagestemperaturen bis 22°. Die gut 13 km lange Strecke bot den nackten Wanderern Aussichtspunkte, sehr schöne Pfade, eindrucksvolle Felsformationen, Historisches aus der Keltenzeit sowie eine auf einem Felsen gelegene Burgruine mit weitem Ausblick bis in die Rheinebene.