Naturismus - Definition des Begriffs
Naturismus ist eine Geisteshaltung, in der der Mensch sich als Teil der Natur erkennt und sein Denken und Handeln daran ausrichtet, sich möglichst weitgehend in das Naturgeschehen einzufügen.
Dies schließt ein, dass der Naturist die Natur als Lebensraum zu erhalten und sie möglichst wenig zu (zer-) stören sucht, vorhandenen (Zer-) Störungen der Natur entgegentritt und sie zu restaurieren versucht, und dass er nur so viel erntet (d. h. der Natur entnimmt), wie es zum Leben nötig ist und wie in der Natur nachwachsen kann.
Naturismus impliziert eine Lebensweise, die sich von den Zwängen der Zivilisation und der gesellschaftlichen Werte und Normen bewusst absetzt und sich auf ursprüngliche, naturbezogene Wertbildung beruft.
Der Begriff des Naturismus wird gelegentlich mit dem Naturalismus verwechselt.
Der Naturalismus ist die Auffassung, dass die Welt als ein rein von der Natur gegebenes Geschehen zu begreifen ist. Der Naturalismus sieht also für alle Dinge und Erscheinungen dieser Welt als Quelle ausschließlich die Natur. Insbesondere wird damit die Metaphysik als Ursprung der Welt ausgeschlossen.
Das Wort Naturalismus beschreibt darüber hinaus in der Kunst und Literatur eine Epoche des 19. Jahrhunderts, in der Realismus und Naturnähe eine bedeutende Rolle spielten.
Der Naturismus als Lebenseinstellung steht den philosophischen Prinzipien des Naturalismus also nicht entgegen, wohl aber den Auswirkungen des Naturalismus, die auf die ungehemmte Nutzung der naturwissenschaftlich-technischen Möglichkeiten durch den Menschen zurückzuführen sind und inzwischen die Existenz allen Lebens auf der Erde bedrohen.
Der Kern des Naturismus liegt in der Naturbezogenheit
Die Ursprünge des Naturismus liegen in der Naturbezogenheit in der frühesten Menschheitsgeschichte. Frühe Menschen waren sehr eng in die sie umgebende Natur einbezogen und weitestgehend von ihr abhängig. Das Bewusstsein dieser Abhängigkeit war überall groß, denn es fehlte für viele Naturvorgänge eine Erklärung.
In allen frühen Kulturen entwickelte sich daher ein Kult zur Verehrung der Naturkräfte: Sei es das Jagdglück, die Fruchtbarkeit der Felder, die gute Ernte, die Fortentwicklung der eigenen Familie und des eigenen Stammes - für das Erreichen aller Ziele, die den Menschen zum Überleben erforderlich waren, wurden die Kräfte der Natur angerufen.
Diese naturverbundene Einstellung blieb über Jahrtausende hinweg erhalten. Wurden den traditionellen Fruchtbarkeitsfesten auch etwa durch die Kirche ein zusätzlicher christlicher Inhalt gegeben, so blieb dem Osterfest doch der Hase als Fruchtbarkeitssymbol treu, dem Weihnachtsfest als Fest der Lichter, die über die Finsternis siegen und die Freude über die Sonnenwende erhalten, dass die Tage wieder länger werden. Die christlichen Inhalte sind nur oberflächliche, aufgesetzte Geschichtchen auf die wesentlich älteren, fundamentalen Anliegen und tiefen Beweggründe der Menschen.
Mit der zu nehmenden Verbreitung der Wissenschaft, die im Zweistromland begann, in Ägypten und dann in Griechenland einen ersten Höhepunkt erreichte, von Römern und Arabern im Mittelalter weiter gepflegt wurde und dann mit der Neuzeit eine geradezu stürmische Entwicklung erfuhr, wurde die Naturbezogenheit der Menschen immer geringer. Es schien (fast) alles erklärbar, die Wissenschaft beantwortet heute nahezu jede Frage, die Weltformel, die alles erklärt, gilt als zum Greifen nah.
Naturphilosophen haben zu aller Zeit diese Überbewertung der Wissenschaft verurteilt und vor der allzu großen Wissenschafts- und Technikgläubigkeit gewarnt. Tatsächlich hat die Menschheit eine Größenordnung erreicht, die die Ressourcen unseres Planeten in absehbarer Zeit erschöpfen wird. Tatsächlich ist längst die Situation erreicht, dass ein Viertel der Weltbevölkerung nicht mehr ausreichend zu ernähren ist. Tatsächlich erreichen wir in absehbarer Zeit durch die Freisetzung des in den Bodenschätzen Öl und Kohle gebundenen Kohlenstoffs wieder die CO2-haltige Atmosphäre und die klimatischen Verhältnisse, die vor Millionen von Jahren durch alles überwuchernde Urwälder die Öl- und Kohlelager haben entstehen lassen.
Der aufkommende Naturismus in der Zeit des Wechsels vom 19. zum 20. Jahrhundert war außer einer Gegenbewegung zum Puritanismus und zur Prüderie des 19. Jahrhunderts auch eine Rückbesinnung auf die Naturkräfte, und dieser Gedanke spiegelt sich auch in fast allen theoretischen Werken der frühen Naturismus-Bewegung wider.
Naturismus im Verhältnis zu verwandten Begriffen
Die Naturbezogenheit der Naturisten erschließt sich bereits in den frühesten Anfängen z. B. durch Ärzte, die die Heilwirkung der Natur vertraten und ihren Patienten Naturheilmittel, Bade-, Luft- und Lichtkuren verschrieben und sie zur vegetarischen Ernährung ohne Schadmittel wie Tabak oder Alkohol anleiteten.
Aus den Bade-, Luft- und Lichtkuren entwickelte sich alsbald eine Nackt-Praxis, d. h. die wohltuende Wirkung der Naturkräfte wurde ohne hinderliche Kleidung genossen. Der Begriff, unter dem all diese Bestrebungen und Aktivitäten zunächst zusammengefasst wurden, hieß »Lebensreform«, womit ein Gegenpol zu den Folgen der zunehmenden Industrialisierung, dem Materialismus und der Urbanisierung im 19. Jahrhundert geschaffen werden sollte.
Als bekannteste Ausprägung dieser Bewegung bildete sich die Nacktkultur heraus, also die nackte Ausübung sportlicher und Erholungs-Aktivitäten in der Natur, für die sich später der Name Freikörper-Kultur (FKK) einbürgerte.
Naturismus ist eine umfassende, naturbezogene Lebenshaltung, bei der Nacktheit nur ein Teil ist. Schon und gerade die Gründer der Nacktkultur und damit der FKK-Bewegung besaßen sehr wohl schon diese "besondere Lebenseinstellung", die dem Naturismus zu eigen ist - und auch die heutigen Mitglieder der FKK-Vereine nehmen diese naturbezogene Lebenseinstellung für sich in Anspruch. FKK und Naturismus sind also oft Synonyme.
An einigen Stränden oder in Freibädern in Deutschland werden Textil-Strände und FKK-Strände unterschieden. Auch einige Schwimmhallen bieten Möglichkeiten zur Freikörperkultur. Dieses Angebot wird manchmal auch als »Nacktbaden« bezeichnet.
Die Bezeichnung FKK meint heute also meist die genannte Bade-Praxis in Nacktheit. Demgegenüber steht der Begriff »Nudismus« für eine allgemeine Haltung, die jegliche Freizeitgestaltung ohne Kleider bevorzugt. Dahinter steht eine Lebenseinstellung, nach welcher der nackte Körper etwas Natürliches und kein Grund zur Scham ist.
Es trifft allerdings auch zu, dass die Benutzung des Kürzels FKK heute häufig für eindeutig auf Sex ausgerichtete Unternehmen im Sprachmissbrauch ist, z. B. für Swingerclubs oder sogar Porno-Websites. Diese Okkupation des FKK-Begriffs mit artfremden Inhalten ist zwar missbräuchlich, aber leider nicht zu verhindern. Deshalb ist der Begriff des Naturismus unter den Naturisten besonders beliebt, weil es hier keine sprachmissbräuchliche Verwendung gibt.
Sowohl FKK-Freunde als auch Naturisten lassen sich nicht gern als Nudisten bezeichnen, da der Begriff zuweilen tendenziell abwertend gebraucht wird und die Nacktheit in die Nähe von Exhibitionismus rückt.
Nacktheit beim Naturismus besitzt keinerlei sexuelle Konnektion
Die Nacktheit der Freikörper-Kultur stellt in keiner Weise eine Verbindung zu Sex dar - ganz im Gegenteil! Trotzdem wird in vielen Kulturen der Welt Nacktheit in der Öffentlichkeit als anstößig betrachtet und ist außer in bestimmten Zusammenhängen verboten. Dazu zählt in einigen Ländern schon die Entblößung des Oberkörpers von Frauen, manchmal sogar solch natürliche Vorgänge wie das Stillen von Säuglingen.
In Deutschland sind die Erregung öffentlichen Ärgernisses und Exhibitionismus Straftatbestände, die immer sexuelle Handlungen oder Motive voraussetzen. Bloße Nacktheit stellt in Deutschland schlimmstenfalls eine Ordnungswidrigkeit dar - wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind (und das ist bei naturistischen Aktivitäten nicht der Fall).
Die rechtliche Situation kann jedoch in anderen Ländern ganz anders aussehen: In manchen Ländern wird jede Art von Nacktheit im öffentlichen Raum als sexuell motiviert betrachtet und ist damit strafbar. Das gilt z. B. für Frankreich, wo mindestens ein bis zwei Millionen Naturisten leben, die in Naturisten-Camps leidenschaftlich und unbehelligt ihrem Hobby frönen. Nacktwanderer können dort aber mit etwas Pech als Sexualstraftäter verfolgt werden, weil die im frz. Strafgesetz verwendete Begriffsbildung Sexuelle Zurschaustellung nicht eindeutig zu interpretieren ist. Der Verein
APNEL bemüht sich seit Jahren, diese unsichere Rechtslage zu beseitigen.
Eine ausführliche Darstellung der rechtlichen Situation findest du unter ↗ Nacktes Recht.