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Regeln fürs Zusammenleben und fürs Überleben

Die praktizierten Überlebenskonzepte von Tieren sind sehr unterschiedlich. Generell scheint es aber für alles Leben das Ziel zu sein, das Überleben der Art zu sichern, und dafür ist es erforderlich, für Nachwuchs zu sorgen und auch dessen Überleben zu sichern.
Viele Tiere, darunter Würmer, Insekten, Fische und Reptilien, überlassen ihre Eigelege - mehr oder weniger gut versteckt - der Umwelt und kümmern sich nicht weiter um ihren Nachwuchs - der schlüpft und muss sich vom ersten Tag an selbst durchschlagen.
Der Froschlaich wird von der Froschmutter hin und wieder noch beobachtet, aber wenn die Kaulquappen schlüpfen, sind sie als beliebte Delikatesse anderen Seebewohnern hilflos ausgeliefert. Foto: Geri-oc. Creative Commons via wikimedia
1/16 Froschlaich im See Die Schildkrötenmutter legt des nachts bis zu 100 Eier am Strand ab, deckt sie mit Sand zu und klopft den Sand mit ihrem Körpergewicht fest, damit niemand an die Eier kommt, während die Sonnenwärme sie ausbrütet. Wenn die Schildkrötenbabies schlüpfen und sich im Sand an die Oberfläche buddeln, müssen sie sich beeilen und ganz allein Richtung Meer flitzen, damit sie keinen Strandräubern in die Hände oder in den Schnabel geraten.
Andere Tiere, darunter Vögel und Säugetiere, kümmern sich nach dem Schlüpfen oder nach der Geburt eine mehr oder weniger längere Zeit ausführlich um den Nachwuchs, versorgen ihn mit Nahrung, schützen ihn vor Gefahren und lehren ihn ggf. wichtige Techniken. Manchmal übernimmt diese Aufgaben nur die Mutter, manchmal Mutter und Vater gemeinsam.
Bei einigen Tieren geht die Brutpflege so weit, dass nicht nur die Mutter oder die Eltern sich um den Nachwuchs kümmern, sondern auch die Mitglieder einer ganzen Gemeinschaft. Am ausgeprägtesten ist dies natürlich beim Menschen, wo etwa der Staat Einrichtungen wie Kindergarten, Schule und Universitäten zur Verfügung stellt, aber auch die Jungen in einem Ameisenstaat oder in einem Wolfsrudel werden von vielen Älteren aus der Sozialgemeinschaft betreut, geschützt und versorgt.
Die Kinder der Klammeraffen haben es gut: Drei Jahre lang passt die Mutter auf ihre Jungen auf, die viel von ihr lernen und von klein auf das Leben im Rudel einüben.
4/16 Klammeraffen-Kinder lernen 3 Jahre lang von der Mutter
Für ein solches Sozialgefüge entwickeln sich zwangsläufig Regeln, die nicht nur für die Betreuung des Nachwuchses betreffen, sondern alle Interaktionen der sozialen Gemeinschaft. Wenn eine Anzahl von Individuen in einer Gruppe (einem Rudel, einem Staat) zusammen lebt, ergeben sich daraus Gruppenzwänge, denen sich jedes Individuum unterwerfen muss, soll die Gruppe nicht auseinanderfallen.

Konzept Rudelbildung: Gruppenregeln stellen den Erfolg der Gemeinschaft sicher

Heutige Menschen erlassen Gesetze und Verordnungen, an die sich die Mitbürger zu halten haben. Im Ameisenstaat lernen die Tiere durch Nachmachen. Sie reagieren auf Duftstoffe (Phaeromone), die von Artgenossen abgegeben werden und sie veranlasst, den Duftabsonderern zu folgen. So können sie gemeinsam auf Beutejagd gehen und etwa einen Käfer jagen. Bei honigsammelden Bienen ist bekannt, dass erfolgreich heimkehrende Bienen ihren Kameradinnen durch ein Tänzeln mit dem Hinterleib demonstrieren, wo sie Nektar finden können - die Zuschauenden machen sich danach selbst auf den Weg. Vielleicht gibt es bei Tierarten, die im Rudel jagen, sogar eine Haltung wie "Aufmerksames Aufpassen auf Gesten des Rudelführers" oder "Kopfnickende Zustimmung", bevor sich die Jagenden um die zu hetzende Beute gruppieren. Jedenfalls laufen zahlreiche solcher Aktivitäten in der Tierwelt koordiniert ab.
Die jagenden Wölfe gruppieren sich perfekt abgestimmt um den Hirsch - Nur eingeübte Jagdregeln sichern den Erfolg. Public Domain via wikimedia
5/16 Nur eingeübte Gruppenregeln sichern den Erfolg der Jagd Waldameisen nutzen ihre Überzahl und ihren giftigen Speichel, um in koordiniertem Vorgehen mit zahlreichen Bissen den sehr viel größeren Käfer zu lähmen, ihn zu zerlegen und schließlich die Einzelteile ins Nest zu schleppen. <!-- START: ConditionalContent -->Ohne eine solche koordinierte Teamstrategie wären die Ameisen dem Käfer hoffnungslos unterlegen - und die Arbeiterinnen im Bau würden vergeblich auf Verpflegung warten.<!-- END: ConditionalContent -->
Eine Ameise, die sich nicht an der allgemeinen Sammel-Arbeit ihrer Kolleginnen beteiligt, sondern faulenzend in der Sonne liegt, wird wahrscheinlich ignoriert - und alsbald von der Nahrungsversorgung ausgeschlossen. Eine Biene, die nicht durch die Gegend fliegt und Nektar sammelt, wird an der Eingangspforte zum Nest wahrscheinlich bald wie eine Fremde abgewiesen. Ein Schakal, der sich nicht an der Jagd beteiligt hat, wird erst an die Beutereste gelassen, nachdem die Jäger und ihre Rudelmitglieder alles Fleisch verzehrt und alle Knochen gründlich abgenagt haben. Wer nicht mitmacht, gehört nicht dazu und genießt auch nicht die Vorteile der Gruppe!
Löwen sind die weitaus stärksten Jäger in der Savanne. Sie leben und jagen in kleineren Gruppen, oft nur zu zweit oder dritt, teils auch als Einzelgänger. Die Hyänen sind zwar viel schwächer, aber viel intelligenter.
7/16 Löwen sind die stärksten Jäger in der Savanne Für die Hyänen lohnt es sich oft, das Ende der Löwenmahlzeit abzuwarten - wenn die Löwen satt sind, lassen sie ihre oft umfangreichen Essenreste auf dem Teller. Das Interesse der Hyänen wächst, und bald wird ihre Geduld belohnt. Wenn sie in der Überzahl sind, werden die Hyänen aber schon mal frech und klauen der Löwin einen guten Happen weg. Die Tupfen-Hyäne beim Abnagen des geklauten Happens.
Hyänen leben in großen Gruppen (Clans) von mehreren Familien zusammen, in denen ein sehr enges Zusammenwirken den Erfolg sichert. Dazu trägt bei, dass die Intelligenz von Hyänen an die von Affen heranreicht. Das Regelwerk in Hyänengruppen ist außerordentlich komplex: Ungewöhnlich ist etwa die Rudel-Regel, dass alle Mitglieder des Hyänen-Clans gleich behandelt werden und kein Tier mehr bekommt, auch nicht die Rudelchefin. Das ist bei anderen Tierarten völlig anders! Hinzu kommt, dass Hyänen auch eine Sprache besitzen: Sie kennen und benutzen hunderte verschiedener Worte (Laute), um untereinander zu kommunizieren. Unter Konkurrenten werden etwa beim Raufen unterschiedliche Drohlaute ausgestoßen - je nachdem, wie ernst man es mit der Drohung meint. 1) Auch bei den Hyänen bleiben die Kinder drei Jahre lang bei der Mutter und werden optimal fürs Gruppenleben ausgebildet.
Die engen Bindungen innerhalb der Familie werden auch auf die anderen Familien des eigenen Clans ausgedehnt - nur gegen externe Hyänen-Clans wird das eigene Territorium unerbittlich verteidigt.
12/16 Eine Tupfenhyänen-Familie Drei Jahre lang werden die Jungtiere von der Mutter behütet und versorgt. Wenn die Dürremonate zu Ende sind, füllen sich die Wasserlöcher wieder. Ein Hyänenweibchen nimmt ein kühlendes Schlammbad. Hyänen sind zwar langsam, aber sehr ausdauernd. Hier ist es einer Hyäne gelungen, sich an einem Gnu festzubeißen, und sie hält eisern die Kiefer zusammen. Wenn die Kräfte des Gnus nachlassen und es strauchelt, kommen die anderen Hyänen des Clans dazu und erledigen den Rest. Gemeinsam machen sich dann alle über die Beute her. Dabei geht es recht blutig zu. Aber bei solch einem großen Beutetier wird der ganze Hyänen-Clan satt.
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1) Verhaltensforscher haben herausgefunden, dass Hyänen mindestens über eine ↗ Intentionalität 3. Ordnung verfügen, das entspricht etwa einem menschlichen Kind im Einschulungsalter. So reflektiert eine Hyäne A etwa, bevor sie einer Hyäne B in einer misslichen Lage zu Hilfe kommt: "Wie wird die Hyäne C reagieren, wenn ich dieser Hyäne B jetzt helfe?".

Symbolik in menschlichen Rudeln und die Ausbildung von Sozialscham

Anerkanntes Mitglied einer Gruppe zu sein, ist in zahlreichen, sozial zusammen lebenden Gemeinschaften überlebenswichtig. Dazu muss man die Gruppen-Regeln respektieren und durch Kooperation seine Gruppenzugehörigkeit verdienen. Das war und ist in menschlichen Gemeinschaften genauso wie in der Tierwelt. Alle Handlungen in der Gruppe mussten sich in die sich ständig weiter entwickelnden Verhaltensnormen der sozialen Gemeinschaft einfügen. Dazu gehörte z. B. auch, dass die Kraft der männlichen Sexualität ihrer Träger gebändigt und unter Kontrolle war, so dass man(n) sich in die sozialen Regeln einfügte und keine Gefahr von Übergriffen auf andere bestand.
Die in menschlichen Gruppen im Lauf der Zeit sich etablierenden Kleidungs-Utensilien waren also nicht nur »bedeckend«, um vor Blicken zu schützen, sondern symbolisierten auch, dass ihr Träger die gültigen sozialen Regeln und Normen anerkannte und sich ihnen unterordnete. Damit wird auch verständlich, dass derjenige sich schämte, dem diese Symbole abhanden kamen oder genommen wurden: Er stand damit außerhalb des sozialen Gefüges seiner Gemeinschaft und war flugs bestrebt, sich wieder darin einzufügen.
Auf diese Weise entwickelte sich eine »Sozialscham«, also das Bestreben, den Konsens des menschlichen Zusammenlebens in der jeweiligen sozialen Gemeinschaft zu erfüllen. Dass diese »Sozialscham« eine höchst zentrale Rolle in der Menschheitsentwicklung spielte und spielt, hat zwei entscheidende Gründe:
  • Erstens ist ein erfolgreiches, friedliches Zusammenleben in einer sozialen Gemeinschaft nur möglich, wenn sich alle Mitglieder an die sozialen Normen halten und gewaltsame Übergriffe sicher vermieden werden. Die Einhaltung sozialer Normen ist für eine menschliche Gemeinschaft überlebenswichtig.
     
  • Zweitens war das einzelne Individuum chancenlos zum Untergang verurteilt, wenn es sich aus dem Verbund der sozialen Gemeinschaft lossagte oder aufgrund eines Normenverstoßes aus der Gemeinschaft ausgestoßen wurde - in früherer Zeit noch weitaus mehr als heute.

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