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Familien und andere soziale Gruppen

Für uns ist es heute die Regel, dass Kinder in der Familie aufwachsen. Dabei ist der Begriff der Familie noch nicht sehr alt: Griechen und Römer hatten kein Wort für »Familie« in ihrer Sprache. Allerdings spielten zur Zeit dieser historischen Völkern familiäre Bande durchaus eine zentrale Rolle in der Sozialgemeinschaft. In welcher Form sich diese Sozialstruktur aber ausprägte, ist nicht immer gesichert. Auch für uns ist der Begriff der »Familie« ja nicht eindeutig definiert:
Familie im kleinsten Sinn umfasst Vater, Mutter und Kind(er). Durch Trennung oder Tod können diese »Kleinfamilien« noch weiter verkleinert werden.
Familie im größeren Sinn umfasst die Lebensgemeinschaft, die zusammen wohnt und die Kinder versorgt. Die kann etwa auf einem traditionellen Bauernhof aus 3 Generationen (Großeltern, Eltern und Kindern) bestehen.
Familie wird in einigen Kulturen, die nicht durch die westlich-europäischen Traditonen geprägt sind, auch im Kern von Müttern mit ihren Kindern gebildet, wobei weitere Verwandte wie Onkel und Tanten (Brüder und Schwestern der Mütter) in der Familie oftmals wichtigere Rollen spielen als die Väter der Kinder.
Familie wird in vielen Kulturen auch heute noch durch einen Patriarchen geprägt, der mit mehreren Frauen liiert ist und mit ihnen auch Kinder hat (Polygynie). Oftmals gibt es dabei innerhalb der liierten Frauen eine Hierarchie (Hauptfrau, Nebenfrauen).
Familie im weitesten Sinne bilden alle Verwandten mehrerer Generationen auch entfernter Verwandtschaftsgrade. Hier grenzt der Begriff »Familie« an »Clan« oder »Sippe«.
Affen (und viele weitere Tiere) leben bis heute nicht in Familien sondern in »Rudeln«, und das traf auch ganz sicher auf die frühen Menschenartigen und Menschen zu. Bei den meisten Arten werden Rudel durch einen männlichen Rudelchef dominiert mit der Folge, dass andere Männchen im Rudel nur selten die Chance bekommen, sich mit einem Weibchen zu paaren. In einigen Affengesellschaften wird dieses männliche Leittier sogar »demokratisch« durch die Weibchen gewählt, in anderen durch teils erbitterte Kämpfe zwischen Rivalen ermittelt.
Der Silberrücken ist ein mächtiger Clan-Chef - keine Chance für die anderen Männchen
Der Silberrücken duldet keinen Konkurrenten neben sich
Aber auch die Rudelstrukturen zeigen diverse Ausprägungen: Bei den zu den Krallenaffen zählenden Tamarinen pflanzt sich innerhalb eines Clans nur das dominante Weibchen fort - bei den anderen Weibchen wird der Eisprung unterdrückt. Das dominante Weibchen paart sich innerhalb kürzester Zeit mit allem Männchen der Gruppe, so dass alle Männchen Vater werden können. Das hat zur Folge, dass sich alle Männchen intensiv um die Kinder kümmern - sie versuchen dabei sogar, sich gegenseitig an Fürsorglichkeit zu übertreffen.
Alle Männchen bei den Goldmantel-Tamarinen übernehmen die Betreuung des NachwuchsesAuch bei den Baumwollkopf-Tamarinen sind alle Männchen die Kindergärtner
Tamarin-Rudel werden von einem Weibchen dominiert

Unterschiedliche Sozialstrukturen

Bei den zu Schlankaffen zählenden Languren leben in der Regel mehrere Männchen mit zahlreichen Weibchen in einer Gruppe, wobei sich die Besonderheit herausgebildet hat, dass jedes Gruppenmitglied sich um jedes Jungtier kümmert - egal, wer die Eltern sind. So wird die gesamte Gruppe zu einer homogenen, sozial aktiven Großfamilie.
Die Hauben-Languren sind in Südost-Asien beheimatetDie Languren-Kinder sind leuchtend gelb, so verlieren die Großen sie nicht so leicht aus den AugenAlle erwachsenen Mitglieder des Clans kümmern sich um alle Kleinen
Languren gehören zu den Schlankaffen
Die zu den Lemuren zählenden Kattas leben auf Madagaskar in Gruppen zusammen, die von einem Weibchen dominert werden. Innerhalb der anderen Weibchen gibt es ebenso eine Hierarchie wie innerhalb der Männchen der Gruppe, wobei die Verwandtschaft durchaus eine Rolle spielt. Insgesamt sind die Gruppen matrilinear organisiert, d. h. junge Weibchen bleiben in der Gruppe, während junge Männchen die Gruppe verlassen und sich einer anderen Gruppe anschließen müssen. Die Weibchen paaren sich zunächst mit den ranghöchsten Männchen, danach aber in der Hierarchie abwärts mit mehreren weiteren Männchen. Wenn ein Männchen nicht an die Reihe gelassen wird, ist das oft der Anlass für seinen weiteren Wechsel in eine andere Gruppe.
Ein Lemuren-Weibchen säugt ihre ZwillingeDie beiden Katta-Kinder krallen sich im Fell der Mutter fest - eines auf dem Rücken, eines am Bauch
Kattas sind eine Unterart der Lemuren
Kein Wunder also, wenn bei so vielen unterschiedlichen Sozialmodellen in der Tierwelt auch die Weiterentwicklung bei den Menschenartigen und später den Menschen bzgl. ihrer Sozialstruktur in verschiedenen Wegen verlaufen ist, von denen viele im Dunklen liegen.
Der Übergang vom Affen-Rudelchef zum Stammeshäuptling und weiter zum Königtum scheint noch einleuchtend, der vom Schamanen oder Medizinmann zum Priester ebenso. Aber über die sozialen Strukturen in den geschichtlich erwähnten matriarchalischen Gesellschaften wissen wir ebenso wenig wie von Völkern, die uns keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben. Z.B. sorgte das prunkvolle Grab einer keltischen Fürstin für eine heftige Überraschung bei den Historikern, weil das so gar nicht ins Weltbild passte.
Sicher gingen Wandlungen in der Sozialstruktur auch nicht ohne Kämpfe ab: Dass der Rudelchef freiwillig auf sein Vorrecht zur Paarung mit allen Weibchen des Clans verzichtet hat, um die Familie zu fördern, ist extrem unwahrscheinlich. Änderungen in der Sozialstruktur haben also vermutlich lange Zeiträume gebraucht. Damit die Rudelgemeinschaft nicht auseinanderbrach, mussten neue Regeln ausprobiert und akzeptiert werden - ein sicher nicht einfacher Prozess.

Bindung zwischen Müttern und ihren Kindern

Gleich geblieben ist dabei die instinktiv enge Bindung zwischen Müttern und ihren Kindern, die schon aufgrund des Stillens eine viel intensivere Bindung darstellte als die zwischen Vätern und ihren Kindern. Dennoch hat sich beim Menschen in den meisten Kulturen eine mehr oder weniger starke Mitwirkung der Väter bei der Aufzucht der Kinder entwickelt. Bei anderen Säugetieren allerdings ist das kaum der Fall, auch nicht bei vielen Affen - wohl aber bei vielen Vögeln.
Das Stillen festigt die sehr enge Bindung zwischen Mutter und Kind weiter.
Stillen eines Babies
Die »soziokulturelle Geburt« der Kinder, d. h. das Geleiten der zunächst extrem auf Hilfe angewiesenen Kinder in die durch zwischenmenschlichen Kontakt geprägten Lebensalltag zu anderen Kindern und Erwachsenen, findet in der Mutter die stärkste Leitperson, bevor andere Mitglieder der Gemeinschaft ins Blickfeld des heranwachsenden Kindes gelangen. Dieser Sozialisierungsprozess braucht den Schutz der Gemeinschaft speziell für Mütter mit ihren Kindern, damit der Nachwuchs überhaupt heranwachsen kann. Dieser Schutz von Mutter und Kind bestand notwendigerweise bereits im Rudel.
Der Ansatz, dass die Väter sich um ihre Kinder kümmerten, hat sich zu einem nicht bekannten Zeitpunkt langsam heraus gebildet. Damit ist natürlich auch die Bindung zwischen Mutter und Vater durch die häufigeren Kontakte gewachsen - die sich u. U. vorher nur zur Paarung trafen und danach wieder ihrer Wege gingen. Über dieses Engagement der Väter für ihren Nachwuchs hat sich dann im Laufe der Zeit die Familienstruktur - als Unterstruktur im Rudel - herausgebildet. Wann das erfolgte, ist ungeklärt. Wahrscheinlich haben aber schon Nomaden, die jahreszeitlich bedingte Wechselquartiere aufsuchten, aber zumindest für eine gewisse Zeit ein festes Lager bewohnten, lange vor der Sesshaftwerdung diese Errungenschaft der Vater-Kind-Beziehung und damit den Grundstein zur Familie gelegt.
Naheliegend ist aber, dass mit dem stärkeren Zusammenwachsen der Familie auch einherging, dass die Intimität der Beziehungen nach außen - zu anderen Familien im Rudel bzw. Stamm - sich abschwächte. Langfristig hat diese Entwicklung wohl ihren Teil dazu beigetragen, dass Kleidung mehr und mehr als Abgrenzung zu anderen Menschen auch innerhalb des eigenen Stamms alltäglich wurde.

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