Die Tradition des nackten Badens im Fluss, im See oder am Meer war immer eine Selbstverständlichkeit — Nacktscham beim Baden gab es nicht. Das dichte Gedränge, das wir heute in Schwimmbädern kennen, war damals beim Baden in der Natur auch unbekannt: Die wenigen Schwimmer oder Badenden waren meist unter sich und wurden bestenfalls von einer Handvoll Schaulustiger beobachtet. Erst in der beginnenden Neuzeit änderte sich das: Die allgemein einsetzende Prüdisierung traf auch die Badenden. Jean Claude Bologne hat in seinem Buch ↗ Nacktheit und Prüderie das einführende Kapitel unter dieses Thema gestellt. Nachfolgend zwei Leseproben.
Nacktbaden in Frankfurt
Ein Badeanzug, um in einen Fluss zu steigen — im Mittelalter hätte man das lächerlich gefunden! Das beweist ein Vertrag Friedrichs II., von dem im 13. Jahrhundert in Lothringen eine Abschrift angefertigt wurde. Ein Miniaturmaler hat die Abschrift mit einer Darstellung des heiligen Johannes illustriert, der im Adamskostüm bei Patmos im Meer schwimmt. Am Ufer hat der Heilige Hose, Hemd und Obergewand — alles im Stil neuester mittelalterlicher Mode — abgelegt.
Die 1498 von Signorelli gemalten Badenden schämen sich ihrer Nacktheit ebenfalls nicht im mindesten, einer von ihnen dient sogar als Hintergrund für eine völlig unbeeindruckte Jungfrau Maria mit dem Jesuskind. Die Geistlichkeit neigte noch nicht zu jener Prüderie, wie Reformation und Gegenreformation hervorbringen sollten.
Badende Studenten (Thomas Eakins)
Man entkleidete sich, um im Meer oder in einem Fluss zu baden, aber auch mitten in Paris an den Seineufern, wo sich Schaulustige und Verkäufer tummelten, wie eine Miniatur zum Leben des heiligen Dionysius belegt. Die Idee, Badekleidung anzulegen, wäre niemandem gekommen, nicht einmal denen, die sich ihrer anatomischen Ausstattung schämten.
Unter den sarkastischen Blicken eines Beroalde de Verville verbergen sie verlegen ihr Genitale mit den Händen, hinter Hut, Hemd oder Hose, bis sie unter Wasser sind. »Wenn sie sich den Mond herunterlangen könnten, so würden sie wohl diesen auch vor ihr Gerät halten!«. Um Anstandsgefühle handelt es sich dabei nicht, wenn man sieht, wie stolz dagegen andere zeigen, was sie haben, ehe sie ins Wasser tauchen.
Erst in der Renaissance, und zwar zunächst in den protestantischen Ländern, stößt man auf Verordnungen, die das Nacktbaden untersagen. Scheinbar ein Paradox zu einer Zeit, als man der Nacktheit in der Kunst Raum gibt und die Anatomie des Menschen so präzise wie nie zuvor darstellt. Das Motiv der üppigen Diana beim Bad entwickelt sich in einer Epoche, in der man den Frauen das Baden im Fluss verbietet. Zwischen beiden Phänomenen besteht jedoch stets ein Zusammenhang, eine Art Gleichgewicht zwischen Freizügigkeit und Schamhaftigkeit.
So werden 1541 in Frankfurt acht Personen ertappt, die im Main badeten, »wie Gott sie erschaffen hatte, völlig nackt und ohne Scham«. Man verurteilt sie zu vier Wochen Gefängnis bei Wasser und Brot. Ein abschreckendes Beispiel reichte nicht aus. Im Jahr 1548 fordert die städtische Obrigkeit die Meister auf, »ihre Lehrlinge zu ermahnen, beim Baden ihre Unterkleidung anzulegen.« Die Verordnung wird 1550 erneuert: Die Lehrlinge sollen nur »bedeckt und schicklich« in den Main steigen.
Strafandrohung, Geldbuße, Gefängnis, Konfiszierung der Kleider: nichts fruchtet. Die Lehrlinge stellen weiterhin mitten in der Stadt ihre Blöße zur Schau. Ein Jahrhundert später findet der Kleinkrieg um die Unterhosen ein Ende, indem die Behörden schließlich das Baden im Fluss überhaupt verbieten.
Quelle: Jean-Claude Bologne, Nacktheit und Prüderie, ISBN 3–7400-1138–6
Nacktbaden in Paris
An den Ufern der Seine herrschen ähnliche Verhältnisse. Zwar duldet man im 16. Jahrhundert noch nackte Männer, aber die Frommen fühlen sich durch den Anblick unbekleideter Frauen mitten in der Stadt zunehmend beunruhigt. Pierre de Lancre berichtet von König Karl IX., dieser habe sich eines Tages in den Tuilerien ergangen, »und erblickte eine Frau (von vollkommener Schönheit), die völlig nackt vom Louvre zum Faubourg Saint-Germain hinüberschwamm; während er ihr wie sein ganzer Hofstaat gebannt zuschaute, tauchte sie plötzlich unter und entzog sich ihren Blicken. Auf der anderen Seite stieg sie in Windeseile ans Ufer, wo sie sich die Haare raufte. Dann ging sie davon und nahm ihren Stolz sowie Aller Augen und Herzen mit«. Der König, so behauptet Pierre de Lancre, sei so schockiert gewesen, dass man »kein Wort des Lobes aus seinem Mund vernommen« habe.
Am tiefsten erschüttert ist jedoch der Autor selbst, der »eine so sittenlose Tat, so unschicklich für die Schamhaftigkeit der Frauen« gar nicht heftig genug verdammen kann. Das Skandalöse an diesem Vorfall beruht nicht auf einem verdammenswerten Akt, der zur Promiskuität führen könnte, sondern auf dem Anblick der Nacktheit als solcher, die die Blicke der unfreiwilligen Zeugen »bannt«. »Sie steigt ins Wasser und entzündet ein Feuer bei den Zuschauern. Sie badet und erfrischt sich, sie aber entbrennnen«, entrüstet sich Pierre de Lancre, und das auf mehreren Seiten, die seinen inneren Aufruhr verraten.
Paul Fischer: Badende Frauen (Bedende Kvinder, A Morning Dip)
Das wilde Nacktbaden am Seineufer ist den Frauen ab dem beginnenden 17. Jahrhundert untersagt. Der moralische Blick richtet sich nun auf die Männer, die dort weiterhin die paradiesischen Wonnen des Naturzustands genießen. Über die Moral entscheiden damals die Salons der Preziösen, über deren Prüderie der Marquis de Coulanges in einem seiner populären Lieder spottete: »Richtig nackte Männer« hätten die Damen am Seineufer erblickt und wären darufhin fast in Ohnmacht gefallen; nun würden sie am liebsten gar nicht mehr aus dem Haus gehen. Coulanges legt ihnen den Wunsch in den Mund, der König möge das Baden ohne Kleider streng verbieten.
Badegruppe — Henry Scott 1911 Bathing group (Noonday heat)
Nun fielen die Preziösen leicht in Ohnmacht und hatten ziemlich feste Vorstellungen vom Hässlichen und vom Sublimen. Doch nicht alle Damen waren wie sie. Auch La Bruyère weiß von jenem Abschnitt des Seineufers zu berichten, wo die »Mannspersonen« an den Hundstagen Erfrischung suchten. »Man sieht von nahe bey zu, wie sie sich ins Wasser stürzen, und wieder heraussteigen … Wenn diese Jahreszeit noch nicht da ist, so gehet das Frauenzimmer aus der Stadt daselbst noch nicht spatzieren; und wenn sie verstrichen ist, so kommen sie nicht mehr dahin.«
Ob es nun Interesse hervorruft oder Empörung — das Nacktbaden ist jedenfalls nicht länger unschuldig. Kleriker wie Bourdaloue nehmen Anstoß daran und auch die Obrigkeit: Joly de Fleury rügt 1724 die Männer, die sich »im Angesicht vieler Menschen, vor allem des anderen Geschlechts« zeigen — obwohl diese sich keineswegs darüber beschwerten! Er zögert nicht, die Nacktbader aller möglichen Laster zu verdächtigen, unter denen er auch »Schändlichkeiten« nennt, die sie mit anderen Männern trieben.
Die Bewohner von Paris haben immerhin den Anstand, zunehmend außerhalb der Stadtmauern zu baden. Der Graf von Soissons pflegte das vor dem Arsenal in der Seine oder in den Burggräben der Befestigungsanlagen aus der Zeit Karls V. zu tun. In Paris wusste man, dass er dabei besser nicht gestört wurde: gemeinsam mit den Edelleuten seines Gefolges veranstaltete er nämlich Wasserschlachten gegen Bürger, die zur gleichen Zeit dort baden wollten. Die Leibärzte Ludwigs XIII. und Ludwigs XIV. berichten, dass sich die Hoheiten nach Conflans, auf die Insel Gauloise, nach Saint-Germain oder nach Melun geleiten ließen, um ihr Bad zu nehmen.
Henry Scott 1921: Boys bathing on rocks [DE: Badende Jungen auf Felsen]
Der König und der Hof hatten einen anderen Begriff von Schamgefühl als die Bürger von Paris. Wahrscheinlich ging Heinrich IV. ebenso im Adamskostüm ins Wasser wie seine Untertanen. Als er seinen Sohn 1609 auf seinem ersten Badeausflug begleitet, pinkelt der »gute König« Heinrich in die Seine. Der kleine Ludwig, damals noch nicht 8 Jahre alt, wird gedrängt, es seinem Vater nachzutun, doch er weigert sich hartnäckig, weil »er fürchtet, davon zu trinken«.
Quelle: Jean-Claude Bologne, Nacktheit und Prüderie, ISBN 3–7400-1138–6
Die Versuche der Städte und Gemeinden, Badeverbote durchzusetzen, blieben meist erfolglos. Um insbesondere das Nacktbaden zu unterbinden, richtete man Badeanstalten ein. Die erste europäische Flussbadeanstalt entstand 1760 in Paris. Die erste deutsche Badeanstalt wurde 1777 in Mannheim am Rhein gegründet. Hier konnte das Aufsichtspersonal dafür sorgen, dass alle Regeln eingehalten wurden. Außerdem konnte die als gesundheitsfördernd erkannte, sportliche Tätigkeit des Schwimmens, durch Kurse gefördert werden. Die Popularität des Badens und Schwimmens stieg erheblich — aber mit Badekleidung.