Ein Badeanzug, um in einen Fluss zu steigen — im Mittelalter hätte man das lächerlich gefunden! Das beweist ein Vertrag Friedrichs II., von dem im 13. Jahrhundert in Lothringen eine Abschrift angefertigt wurde. Ein Miniaturmaler hat die Abschrift mit einer Darstellung des heiligen Johannes illustriert, der im Adamskostüm bei Patmos im Meer schwimmt. Am Ufer hat der Heilige Hose, Hemd und Obergewand — alles im Stil neuester mittelalterlicher Mode — abgelegt.
Die 1498 von Signorelli gemalten Badenden schämen sich ihrer Nacktheit ebenfalls nicht im mindesten, einer von ihnen dient sogar als Hintergrund für eine völlig unbeeindruckte Jungfrau Maria mit dem Jesuskind. Die Geistlichkeit neigte noch nicht zu jener Prüderie, wie Reformation und Gegenreformation hervorbringen sollten.
Man entkleidete sich, um im Meer oder in einem Fluss zu baden, aber auch mitten in Paris an den Seineufern, wo sich Schaulustige und Verkäufer tummelten, wie eine Miniatur zum Leben des heiligen Dionysius belegt. Die Idee, Badekleidung anzulegen, wäre niemandem gekommen, nicht einmal denen, die sich ihrer anatomischen Ausstattung schämten. Unter den sarkastischen Blicken eines Beroalde de Verville verbergen sie verlegen ihr Genitale mit den Händen, hinter Hut, Hemd oder Hose, bis sie unter Wasser sind. »Wenn sie sich den Mond herunterlangen könnten, so würden sie wohl diesen auch vor ihr Gerät halten!«. Um Anstandsgefühle handelt es sich dabei nicht, wenn man sieht, wie stolz dagegen andere zeigen, was sie haben, ehe sie ins Wasser tauchen.
Erst in der Renaissance, und zwar zunächst in den protestantischen Ländern, stößt man auf Verordnungen, die das Nacktbaden untersagen. Scheinbar ein Paradox zu einer Zeit, als man der Nacktheit in der Kunst Raum gibt und die Anatomie des Menschen so präzise wie nie zuvor darstellt. Das Motiv der üppigen Diana beim Bad entwickelt sich in einer Epoche, in der man den Frauen das Baden im Fluss verbietet. Zwischen beiden Phänomenen besteht jedoch stets ein Zusammenhang, eine Art Gleichgewicht zwischen Freizügigkeit und Schamhaftigkeit.
So werden 1541 in Frankfurt acht Personen ertappt, die im Main badeten, »wie Gott sie erschaffen hatte, völlig nackt und ohne Scham«. Man verurteilt sie zu vier Wochen Gefängnis bei Wasser und Brot. Ein abschreckendes Beispiel reichte nicht aus. Im Jahr 1548 fordert die städtische Obrigkeit die Meister auf, »ihre Lehrlinge zu ermahnen, beim Baden ihre Unterkleidung anzulegen.« Die Verordnung wird 1550 erneuert: Die Lehrlinge sollen nur »bedeckt und schicklich« in den Main steigen.
Strafandrohung, Geldbuße, Gefängnis, Konfiszierung der Kleider: nichts fruchtet. Die Lehrlinge stellen weiterhin mitten in der Stadt ihre Blöße zur Schau. Ein Jahrhundert später findet der Kleinkrieg um die Unterhosen ein Ende, indem die Behörden schließlich das Baden im Fluss überhaupt verbieten.
Quelle: Jean-Claude Bologne, Nacktheit und Prüderie, ISBN 3-7400-1138-6