Nacktheit als Andacht
In zahlreichen historischen Ritualen wird Nacktheit innerhalb von Anbetungs- und Andachts-Handlungen berichtet. Von Mesopotamien, Ägypten über Griechenland bis Rom werden nackte Kulte zu Ehren der Götter berichtet, weil nur der reine, nackte Mensch eine direkte Beziehung zu den Göttern aufbauen kann. So wurden die klassischen griechischen Orakel von den Priesterinnen in nackter Offenbarung gesprochen, die Annahme von Opfergaben durch die Götter setzte vielfach voraus, dass die opfernden Priester wie die Opfer selbst nackt waren. Die Soldaten Alexander des Großen lauschten aus Achtung vor den fremden Göttern nackt den Belehrungen über die Gottheiten und religiösen Gebräuche in den eroberten Ländern.
Nacktheit als Sünde
In einigen Weltanschauungen wird Nacktheit als Sünde deklariert. Sie sei teuflischen Ursprungs, und der Satan sei ständig bestrebt, die Menschen in ihrer Nacktheit zur Sünde zu verführen.
Abgesehen davon, dass sich hinter einer solchen Einschätzung ein höchst naiver Satansglaube verbirgt, hoffen die Vertreter solcher Weltanschauungen leider vergebens darauf, vom Satan verführt zu werden: Es gibt keinen Satan.
Außerdem ist nach weiser Erkenntnis des römischen Dichters Vergil mit natürlicher Nacktheit keine Sünde verbunden:
Naturalia non sunt turpia - Das Natürliche ist nicht schimpflich
Vergil, Georgica
Nacktheit ist eine fundamentale, natürliche und positive Eigenschaft aller Lebewesen dieser Welt und erhält nur dann eine negative Bedeutung, wenn schlecht denkende Menschen ihr eine negative Bedeutung zuweisen. Das war schon den Denkern und Dichtern im Alten Rom bekannt.
Nacktheit als Provokation
Seit den 60er Jahren des 20. Jhdt. gab es das Auftreten nackter Flitzer, die mit Vorliebe bei Veranstaltungen wie Fußballspielen oder in belebten Zonen der Innenstädte in Erscheinung traten, um aufzufallen und zu stören. Meist wurden sie von Ordnern oder Polizisten gejagt, eingefangen und abgeführt. Eine andere Zielsetzung als reine Provokation wurde in keinem Fall ermittelt.
Nacktheit als Protest
Die Frauen der international organisierten FEMEN Bewegung
unterstützen ihren Protest gegen Institutionen oder Einrichtungen bei ihren Aktionen durch einen nackten Oberkörper sowie durch passive Gewalt. Auch sie wurden meist von Polizisten gejagt, eingefangen und abgeführt. Ihre Zielsetzung ist aber regelmäßig ein konkreter Protest gegen Handlungen wie Rechtsverletzungen oder Unterdrückung.
Auch der World Naked Bike Ride (Welt-Nackt-Radel-Tag) ist in seinem Kern eine Protestaktion, die sich gegen überbordenden Autoverkehr mit Ressourcenverbrauch und Umweltschäden richtet - und für eine verstäkte Nutzung des Fahrrades ficht. Wie bei FEMEN ist die Nacktheit auch hier ein Mittel der Protestierenden, mehr Aufmerksamkeit zu erregen und damit den Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen.
Naturistische Nacktheit
Aus naturistischer Sicht ist Nacktheit ein kleiderfreier Zustand, mit dem Naturbezogenheit und das Bewusstsein verbunden sind, dass Nacktheit der natürliche Normalzustand des Menschen und aller anderen Lebewesen ist.
Die Besetzung dieser natürlichen Nacktheit mit einer Körperscham oder mit sexueller Konnektion scheidet für den Naturisten aus. Sie ist einzig Audruck unbeschwerter Lebensfreude, fürsorglicher Zugewandtheit anderen Menschen gegenüber und praktizierter Naturverbundenheit.
Damit ist der naturistisch verstandene Begriff der Nacktheit die bewusste, intellektuelle Überwindung aller Nacktheitsvorstellungen, die je nach Weltanschauung mit bestimmten Symboliken oder Bedeutungen verbunden sind, und die Rückführung auf unser aller naturgegebene Basis-Existenz.
Die Nacktheit der Naturisten ist zwar keine paradiesische Nacktheit (ohne sich der Nacktheit bewusst zu sein), kommt ihr jedoch durch die bewusste Reduzierung der Nacktheit auf ihre Natürlichkeit am nächsten.
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